Von der Ohnmacht zur Selbststeuerung

Der Raum zwischen Reiz und Reaktion

Als Organisationspsychologin hat Jeannette Hemmecke regelmäßig mit Konflikten zu tun. Ein wichtiges Ziel im Konfliktcoaching ist, auch in schwierigen Situationen wieder frei und selbstbestimmt denken, fühlen und handeln zu können. Der Dreh heißt, den „Raum zwischen Reiz und Reaktion“ zu nutzen! Gerade in schwierigen Situationen kann ich mich selbst nicht oft genug daran erinnern, dass es immer einen Freiraum gibt (auch wenn ich ihn gerade nicht sehen kann), um selbst zu entscheiden, wie ich einer Situation begegnen möchte. Wie viel Macht ich einer Situation, zum Beispiel einem Konflikt, über mein Leben geben will.

Ohnmacht

Schnell entsteht in Konflikten das Gefühl, der Situation ausgeliefert zu sein. Scheinbar egal, was wir tun, gibt es wieder Streit. Unsere ehrlichen Versuche, uns anzunähern, scheitern. Das erzeugt Ohnmacht! Sich ohnmächtig zu fühlen ist ein scheußliches Gefühl. Es bedroht unser urmenschliches Bedürfnis nach Kontrolle und Einfluss in der Welt.

Und diese Ohnmacht triggert unseren Autopiloten, das heißt, unsere automatischen Denk-, Fühl- und Verhaltensprogramme. Als wären sie untrennbar miteinander verbunden, eben Reiz-Reaktion. Diese Programme sind einerseits evolutionsbiologisch alte (als der Säbelzahntiger uns bedrohte) Verhaltensmuster wie Angriff, Flucht oder der Totstellreflex. (Man denke an die Opossums.) Andererseits werden in solchen Situationen auch lebensgeschichtlich alte, der Kindheit zugeordnete Verhaltensmuster aktiv wie zum Beispiel Trotzreaktionen. Sind wir wirklich diesen scheinbar automatisch ausgelösten Mechanismen, die uns selbst nicht immer gut tun, ausgeliefert?

Zurück in die Selbststeuerung

Viktor Frankl, ein österreichischer Psychologe und der Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse, hat einmal gesagt:

Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt die Macht unserer Wahl. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.

Viktor Frankl (1905-1997)

Die Vorstellung, dass zwischen dem Reiz (zum Beispiel dem Verhalten unseres Konfliktpartners) und unserer Reaktion echte Selbstbestimmung liegen könnte, befreit doch schon ein Stück.

Methoden wie Achtsamkeit, Mindfulness, Yoga, Meditation können uns helfen, selbst „Stopp“ zu unserem Autopiloten zu sagen und das Steuer unserer Reaktion wieder selbst in die Hand zu nehmen. Sobald wir schaffen, diese Sekunde innezuhalten, können wir uns selbst in all diesen Facetten wahrnehmen:

  • Wie sehe ich die Situation?
  • Wie fühle ich mich?
  • Was fehlt mir? Was will oder brauche ich eigentlich?
  • Welche Handlungsoptionen gibt es?
  • Wie will ich tatsächlich handeln?

Selbst wenn ich am Ende entscheide, das zu tun, was ich ohne diesen Moment des Innnehaltens getan hätte, fühle ich mich wieder in meiner Eigenverantwortung. Es war meine bewusste Entscheidung. Und das ist ein gutes Gefühl.

(M)eine kleine Geschichte

Einmal hatte ich einen solchen Moment des Innehaltens und entschied mich bewusst für eine, sagen wir, theatralische Reaktion. Vor Jahren mussten wir viel mit Handwerkern beim Hausbau verhandeln.

Die Fließenleger hatten die Fließen am Fenstersims mit einem Gefälle zum Fenster gelegt statt so, dass das Kondenswasser vom Fenster weg abfließen konnte. Wir vereinbarten einen Termin und sprachen sie darauf an.

Sie behandelten uns von oben herab, als hätten wir keine Ahnung und weigerten sich das falsch gerichtete Gefälle der Fließen richtig zu stellen.

In mir kochte Wut hoch. Doch es gelang mir, mich für einen Moment auf diesen „Raum zwischen Reiz und Reaktion“ zu besinnen. Ich spürte meine Wut, machte mir klar, was mich so wütend machte und was ich wollte. Dann entschied ich innerhalb dieses vermutlich nicht mehr als 2-3 Sekunden dauernden Augenblicks, dass ich dem Wut-Impuls an dieser Stelle absichtlich nachgebe und mich als „hysterische Ehefrau“ verhalte, denn objektive Diskussionen schienen keinen Effekt zu haben.

Die Handwerker erschraken über meinen (in Wirklichkeit kontrollierten, aber durchaus echten) Wutausbruch. Ich selbst erschrak nicht, es war ja eine bewusste Entscheidung. Es fühlte sich sehr befriedigend an, nicht selbst der Wut ausgeliefert zu sein, sondern den Impuls, der daraus entsteht, aktiv zu nutzen. Ich hatte die Wut – aber die Wut hatte nicht mich in der Kontrolle.

Das weitere Gespräch konnte dann ganz lösungsorientiert laufen. Offenbar brauchten die Handwerker in diesem Moment das Signal, dass es ein echtes Problem gab. Für mich ist dieser Moment eine großartige Erinnerung an das gute Gefühl, wenn es gelingt, diesen Raum zwischen Reiz und Reaktion zu nutzen!

Eine Übung zum Ausprobieren

Kennen Sie diesen Raum zwischen Reiz und Reaktion? Mit einem Partner oder einer Partnerin können Sie gemeinsam folgende vielleicht gewöhnungsbedürftige, aber wirkungsvolle Awareness-Übung ausprobieren, um die Fähigkeit des Innehaltens zu trainieren. Viel Freiheit, Entwicklung und Selbstwirksamkeit wünscht Jeannette.

Und sonst so?

Wenn Sie merken, dass Selbstreflexion allein nicht ausreicht, sprechen Sie uns an. Wir bieten Konfliktcoaching für Einzelpersonen als auch Teammediation für kleine und große Gruppen.

Wenn Sie mehr wissen wollen oder Fragen haben, kontaktieren Sie Jeannette Hemmecke direkt unter +43 699 17046894 oder jeannette@hemmecke.com.