Zwischentöne: Musik als Sprache der Seele

Konfliktcoaching. Zeichnung einer Hand die die Tasten eines Klaviers bedient

Musiker Merijn van Driesten kennt die Sprache der Musik. Im folgenden Beitrag lässt er an seinen Gedanken zum Zusammenhang von Musik und Konfliktbearbeitung teilhaben.

Musik als Brücke zwischen Herz und Verstand

Die Musik als Sprache der Seele bietet viele Möglichkeiten, durch Metaphern und Vergleiche bestimmte Gesetzmäßigkeiten des Seelenlebens und des Zwischenmenschlichen zu erhellen und zu verdeutlichen. Ein Zusammenhang, der zunächst einmal rational verständlich ist, kann dadurch auch erlebbar und “mit dem Herzen verstanden” werden. Kunst und Kreativität können Brücken schlagen zwischen Verstand und Herz. In sozial herausfordernden Situationen wie Konflikten ist es oft schwer oder unmöglich, diese Verbindung von Kopf und Herz herzustellen. Daher wenden wir in Konfliktberatung und Mediation kreative und metaphorische Methoden an, um die verschiedenen Ebenen (Verstand und Gefühl, aber auch das Tun) wieder zusammenzubringen.

Bin ich als Mensch kreativ oder künstlerisch tätig, dann ist diese Integration von verschiedenen Bewusstseinsebenen ein wesentliches Element, das erforderlich ist für ganzheitliches “Dabei-Sein”. Bin ich künstlerisch aktiv, dann bin ich mit all meinen Fähigkeiten und Sinnen als ganzer Mensch dabei – auch in der Kunst ist das als Herausforderung zu verstehen, als Zielrichtung! Wird dieses Ziel erreicht, entsteht eine höhere Bewusstseinsebene, die auch “Flow” genannt wird. Aber ich schweife ab – verstricke ich mich etwa im “Gedankenspiel”? Zurück zur geplanten “Fingerübung”.

Die Einmaligkeit unseres Miteinanders

Im Bild sehen wir eine Klaviatur oder Tastatur. So wird die Gesamtheit der Klaviertasten genannt. Auf dieser lässt sich die gesamte (Klavier-)Musikgeschichte – ein immenser Raum voller seelischer Erlebnisse – “ertasten”… Und jeder Pianist, oder sagen wir, jeder “Spieler”, ertastet diese Räume in seiner eigenen einzigartigen Weise und erlebt dabei Vergleichbares und doch Einmaliges. Aufs Soziale übertragen: Person A trifft auf Person C und erlebt etwas Vergleichbares wie wenn Person C auf Person B trifft. Doch die “Chemie” ist anders…

Die Zeit spielt hier eine wichtige Rolle: Die Begegnung findet in einem bestimmten Moment statt, der sich nicht genau gleich wiederholen wird, der bestimmt ist durch alles, was “jetzt” ist. Ein Musikstück von Bach wird in der Geschichte nicht zweimal gleich erklingen, wie oft es auch gespielt wird… (einmal abgesehen von der durch Technik ermöglichten Konservierung und Wiederholung). Ein Musikstück ist wie ein Wesen, dem ich begegne, wie eine Persönlichkeit. Metaphorisch kann diese Begegnung durchaus mit der zwischen zwei Menschen verglichen werden. Offenheit, Feinfühligkeit, das Bewusstsein um diese Einmaligkeit – das sind alles Faktoren, die den Verlauf und Charakter einer Begegnung stark prägen und bestimmen.

Über das Stimmen

Die Finger im Bild sagen mir: das Ertasten der Töne erfordert vom Spieler Fingerspitzengefühl. Überhaupt scheint hier eher von einem Sich-Herantasten die Rede zu sein, denn von Spielen. Der Spieler hat sich vielleicht noch nicht ans Klavier gesetzt – vielleicht weiß er oder sie noch nicht, ob das hier denn wirklich das richtige Instrument ist? Vielleicht geht es erst einmal um ein Einstimmen? Wenn Menschen zusammen musizieren, gibt es immer zuerst ein Einstimmen: Sind wir denn so “gestimmt” dass ein gemeinsames Musizieren möglich ist? Wenn wir uns im Sozialen begegnen, achten wir vielleicht zu selten darauf, wie unsere “Gestimmtheiten” sind, ob sie gerade kompatibel sind und eine gute Begegnung im Moment überhaupt zulassen?

Die Farbe der Zwischentöne

Wenden wir uns nochmal dem Bild zu: Auf der Klaviatur gibt es weisse und schwarze Tasten. (Dass einige darunter sich noch nicht für schwarz oder weiss entschieden zu haben scheinen – oder sich der üblichen Ordnung der Dinge widersetzen? – ist eine Eigenheit dieses Bildes, die zu weiteren Gedanken über Gesetzmäßigkeiten und ihren Sinn oder Unsinn einlädt.) Der Gebrauch der schwarzen Tasten wird in der Musiktheorie als “Chromatik” bezeichnet, das als Wort aus dem Griechischen stammt und “Farbe” bedeutet. Im Zwischenspiel von schwarzen und weissen Tasten entsteht also erst die Farbe, und unser unsichtbarer Musiker sucht hier nach der richtigen Farbe, dem Zwischenraum, musikalisch besser formuliert: nach den Zwischentönen.

In der Konfliktbearbeitung verhält es sich ähnlich: Die Herausforderung besteht darin, den Weg aus dem Schwarz-Weiss-Denken zu finden, hin zu einer Akzeptanz der Vieldeutigkeit, der Vielfarbigkeit der Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse der beteiligten Menschen. Und das bedeutet manchmal auch zu akzeptieren, dass zwei Ansichten (oder Meinungen, Einstellungen, Gefühlswelten…) sich bleibend gegenüber stehen. Es ist nicht immer eine Einigung möglich. Es ist leicht zusammenzuarbeiten, wenn man gleicher Meinung ist, aber zeugt von mehr Größe, trotz Verschiedenheit eine gute Zusammenarbeit zu suchen. “Let’s agree to differ…”

Dissonanzen gehören zum Leben

Das heißt also, zu akzeptieren, dass nicht alles Harmonie sein kann, dass Dissonanzen oder Disharmonie dazu gehören und ihren Sinn haben. Dissonanz ist auch im Bild enthalten: Die zwei angeschlagenen Tasten bilden das Intervall einer kleinen Sekunde, das eine starke Reibung erzeugt (überzeugen Sie sich selbst und probieren es aus, sobald ein Klavier in der Nähe ist!). Es rüttelt auf, ist unbequem, erscheint zunächst einmal als Störung. Dieses Intervall lässt sich nicht ohne weiteres in eine harmonische Auflösung führen. Die zwei Töne scheinen sich gleichwertig gegeneinander zu stellen und sich behaupten zu wollen. Diese Dissonanz muss ich aushalten, ich muss einmal richtig zuhören und mich fragen: Was nehme ich denn eigentlich wahr? Was will diese “Situation” mir sagen? Kann ich daraus etwas lernen? Muss ich sofort die Harmonie wieder herstellen oder kann ich die Spannung dieser Dissonanz, dieser Unterschiedlichkeit aushalten und daraus eine positive Erfahrung gewinnen? Solche Fragen stellen sich in unseren Begegnungen und Konflikten genauso.

Mit Musik seelisches Wahrnehmen üben

Zum Schluss noch einmal zurück zum Thema der Zwischentöne: Die Tastatur ist wie ein unbeschriebener seelischer Raum. Der Spieler kann sich entscheiden, diesen Raum zu erkunden, sich ans Klavier zu setzen und wahrzunehmen, was die erklingenden Töne in ihm – und in anderen Menschen – auslösen. So können Töne, kann Musik ein Übungsfeld für differenziertes seelisches Wahrnehmen sein – was wiederum im sozialen Miteinander mehr denn je gebraucht wird.

Wenn Sie mehr über Entwicklungsberatung und Konfliktklärungs-Workshops mit Musik wissen wollen, kontaktieren Sie direkt Merijn unter: +31 6 19 12 42 31 oder mvandriesten@gmail.com.